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Julia Stoff arbeitete bei Linz09 mit.
01.08.2024

Missing Linz 38: Von Linz09 zum Sehnsuchtsort Winterhafen

Julia Stoff hat im Team von Linz09 den Kulturstandort Linz mitgeprägt. Die Kuratorin lebt heute in Berlin, besucht regelmäßig ihre Geburtsstadt und bereichert die Kunstwelt mit Projekten, die sich durch hohe Zugänglichkeit und die Verbindung von Kunst, Wissenschaft und Alltagswelt auszeichnen.

Julia, du bist 1980 in Linz zur Welt gekommen und dort aufgewachsen. Wie hat deine Linzer Kindheit und Jugend in den 1980er- und 1990er-Jahren ausgeschaut? Wo hat sie sich abgespielt?

Julia Stoff wuchs in Linz auf.

Ich bin am Froschberg aufgewachsen und habe das Khevenhüller Gymnasium besucht. Zentrale Orte der Kindheit waren der Freinberg und der Bauernberg, wo viele Spaziergänge mit unserem Hund hinführten. In meiner Jugend war ich viel in der Innenstadt und bei der Donau auf der Linzer Seite. Den Grundstein für meine Kino-Liebe habe ich im „Central“, „City“ und „Kolosseum“ gelegt, später im „Moviemento“.

Wie hat sich deine Affinität zu Kunst und Kultur weiterentwickelt? Hattest du Vorbilder oder Wegbegleiter*innen?

Meine ersten Sommerjobs waren in der Neuen Galerie, später im Pressebüro des Ars Electronica Festivals und im Lentos. Auch während meines Studiums habe ich immer nur im Kulturbereich gearbeitet. Maßgeblichen Anteil an dieser Entwicklung hatte wohl Ingrid Pohl, meine großartige Zeichenlehrerin am Khevenhüller Gymnasium. Sie hat selbst Führungen im Lentos und in der Neuen Galerie angeboten und war die beste Lehrerin, die man sich wünschen kann. Zudem begeistern sich auch meine Eltern für das Kulturleben. Meine Mutter war ein Theater-Junkie und hat mich immer wieder ins „Phönix“ mitgenommen.

Wie viele andere junge Erwachsene hat es dich aus Linz weggezogen. Warum? Wohin?

Damals entsprach das wirtschaftlich-technische Studienangebot in Linz nicht meinen Interessen. Ich habe in Salzburg Englisch und Spanisch auf Lehramt sowie Kunstgeschichte als Diplomstudium inskribiert. Während des Studiums habe ich Erasmus-Semester in Schottland und in Spanien absolviert. Nach meinem Uni-Abschluss ging ich als Sprachassistentin an ausländische Schulen, zunächst nach Paris, dann nach Modena. Dort wäre ich eigentlich länger geblieben, bin aber für den Job bei Linz09 zurück nach Linz.

Wie kam es zu deiner Mitarbeit bei Linz09? Was hat dich zu diesem Schritt motiviert?

Ich hatte früh eine Initiativbewerbung an Linz Kultur geschickt und wurde einige Jahre später angerufen. Seit 1992 interessierte ich mich brennend für Kulturhauptstädte, weil ich damals mit meinen Eltern in Glasgow war. Die schottische Metropole war 1990 die erste Industriestadt, die den Kulturhauptstadt-Titel bekam und einen enormen Entwicklungsschub daraus generierte. Einige Projekte waren zwei Jahre danach noch zu erleben, darunter eine Ausstellung mit Alltagsgegenständen im People’s Palace. Sie hat mich damals sehr beeindruckt und möglicherweise meinen Wunsch genährt, selbst Ausstellungen zu machen, in denen sich Kunst und andere Disziplinen, aber auch das Alltagsleben auf zugängliche Weise miteinander verbinden. In meiner Diplomarbeit habe ich die Kulturhauptstädte Glasgow und Graz (2003) miteinander verglichen. Bei Linz09 war ich Assistentin der Intendanz, habe eine Reihe von Projekten betreut, viele Konzepte geschrieben, darunter jenes für den Kepler Salon. Ich habe mich um Publikationen gekümmert und eigene Projekte umgesetzt, zum Beispiel das „Haus der Geschichten“.

Julia Stoff während ihrer Arbeit zur Kulturhauptstadt Linz.
Julia Stoff während ihrer kreativen Arbeit.

Im Zuge von Linz09 hat Linz zu einem neuen Selbstverständnis gefunden. Du hast einen wesentlichen Beitrag dafür geleistet. Wie siehst du die Arbeit bei Linz09 im Rückblick?

Ich bin, was meine Arbeit betrifft, sehr bescheiden. Das Allermeiste wurde ja im Team entwickelt. Viele Veränderungen waren schon längst angeschoben, als ich wieder zurück nach Linz kam. Für mich persönlich war das Kulturhauptstadt-Abenteuer enorm bereichernd. Ich bekam viele Einblicke, durfte viel über Linz lernen und erfahren.

Wie ging es nach Linz09 weiter?

Mein Linz09-Vertrag lief bis Anfang 2010. Danach habe ich am OK eine Kuratorinnen-Stelle in Karenzvertretung übernommen. Das Interessante daran war vor allem die Frage, wie man den Faden von Linz09 weiterspinnen kann. Und wo Finanzmittel akquiriert werden können, damit sich ähnlich große Projekte wie 2009 weiterhin stemmen lassen.

Im Mai 2011 habe ich im kuratorischen Team der dOCUMENTA (13) in Kassel begonnen. Rund um die Geburt meiner ersten Tochter stellte sich die Wohnsitzfrage. Weil mein Mann Martin Heller damals viele Projekte in Berlin hatte, ließen wir uns dort nieder. Seither arbeite und lebe ich hier als freischaffende Kuratorin. Als solche darf ich 2024 zwei Beiträge zur Kulturhauptstadt Europas Bad Ischl Salzkammergut leisten: Zum einen kuratiere ich gemeinsam mit Katharina Lackner das Kunstprojekt „vogelfrei“ des Schweizer Künstlerpaares Gerda Steiner & Jörg Lenzlinger in Ebensee – unbedingt eine Reise wert in diesem Sommer. Zum anderen bin ich kuratorische Beraterin und Produktionsleiterin des „Großen Welt-Raum-Wegs“, eines Hör- und Wanderprojekts durchs Tote Gebirge von Christoph Viscorsum.

Julia Stoff und ihr Mann Martin Heller.

Wenn du aus heutiger Sicht das Linz deiner Jugend mit dem von heute vergleichst, was sind die tiefgreifenden Veränderungen?

Mein absoluter Sehnsuchtsort in Linz ist der Winterhafen. Da zeigt die Stadt ihre Dreifaltigkeit, ihre Unique Selling Proposition: die Verbindung von Natur, Kultur und Industrie.
Mit den Kindern geht es meist an und in die Donau. Schon sehr früh und bis sehr spät im Jahr. Besucher*innen empfehle ich in Linz den Donauraum und den Pöstlingberg, den Schlossberg, einen Bummel durch die Innenstadt und einen Besuch in der Buchhandlung Alex. Einen Katzensprung außerhalb der Stadt ist Ottensheim, ein Glücksort, der nun auch mit dem Schiff​​​​​​​ zu erreichen ist. Oder den Audioweg Gusen, ein NS-Gedenkprojekt, das seinesgleichen sucht.

Julia Stoff und ihr Glücksort in Linz, der Winterhafen.

Was ist typisch Linz für dich?

Linz hatte lange Zeit ein hartes Dasein zwischen Wien und Salzburg. Mittlerweile kann man mit Fug und Recht sagen: Es lohnt sich, auszusteigen und einen Zwischenstopp einzulegen. Die Linzerinnen und Linzer sind heute stolz auf ihre Stadt und zeigen sie gerne her, das berührt mich.

Julia Stoff

Julia Stoff während ihrer Zeit bei Linz09.

Geb. 1980 in Linz, studierte Anglistik, Spanisch, Kunstgeschichte, Publizistik und Italienisch an den Universitäten Salzburg, Glasgow und Sevilla. Sie arbeitete als Projektleiterin und Assistentin der Intendanz für Linz 2009 Kulturhauptstadt Europas, als Kuratorin am OK Offenen Kulturhaus Linz und in der kuratorischen Abteilung der dOCUMENTA (13). Seit 2012 ist sie freie Kuratorin, Produzentin und Übersetzerin, u. a. für die Berliner Festspiele, die Staatlichen Museen zu Berlin, die Kulturstiftung des Bundes und die Akademie der Künste der Welt, Köln.

Ein Gastbeitrag von "jungskommunikation".

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